Frankfurter Rundschau
Schnellboot für die Wissenschaft
Seit zehn Jahren bietet das Forschungskolleg in Bad Homburg Freiräume für Akademiker aus aller Welt
Neben dem gepflegten Kurpark in der Taunusstadt Bad Homburg ist die Denkstube im Grünen zu finden: Auf dem Anwesen des einstigen Unternehmers Werner Reimers kommen seit mittlerweile zehn Jahren hochkarätige Geisteswissenschaftler zusammen, um sich konzentriert ihren interdisziplinären Forschungsprojekten zu widmen - und um so diese weiter zu vertiefen.
"Im Vergleich zum schwerfälligen Tanker Goethe-Universität" sei das Forschungskolleg Humanwissenschaften mit einem Schnellboot vergleichbar, wenn es um die Entwicklung von Top-Ideen geht, lobte die Frankfurter Unipräsidentin Birgitta Wolff das Konzept, zu dessen Grundfinanzierung die Hochschule den Löwenanteil beisteuert. Gegründet hat das Kolleg die Universität zusammen mit der Werner Reimers Stiftung - um den Wissenschaftlern Freiräume zu eröffnen, aber auch um auf diesem Weg zusätzliche Drittmittel für Forschungsprojekte einwerben zu können.
Jährlich bis zu 30 Wissenschaftler aus aller Welt lädt das Kolleg ein und stellt ihnen Büros oder auch Wohnungen auf dem weitläufigen Gelände zur Verfügung. Zudem können sie einen internen Büchershuttle für die Frankfurter Bibliotheken nutzen. Der Wissenschaftliche Direktor des Kollegs, Matthias Lutz-Bachmann, will neben den Gästen aus dem angelsächsischen Raum und Israel künftig zudem vermehrt Forscher aus Afrika einladen. Auch Stars ihrer Disziplin wie der Historiker Christopher Clark, der in Cambridge lehrt und mit seinen Thesen zum Kriegsausbruch 1914 große Aufmerksamkeit erregte, gingen schon in der Bad Homburger Villa ein und aus.
Außerdem werden ab dem kommenden Jahr zunächst vier Spitzenforscher von der Frankfurter Universität ans Kolleg berufen, um innovative Forschungsfragen über einen Zeitraum von bis zu vier Jahren zu internationalen Projekten auszubauen. Für diese Aufgabe wird das Pensum an Lehrveranstaltungen, zu dem die Uni die Professoren verpflichtet hat, um ein Viertel reduziert.
Im Zentrum des Kollegs Humanwissenschaften stehen die Forschungen zum Menschen als ein sprachliches, soziales und politisches Wesen. Zu Gast aus den USA ist derzeit unter anderem William Scheuermann, Professor für Politikwissenschaft und internationale Beziehungen. Sein Thema ist der zivile Ungehorsam und dessen Bedeutung für unsere heutige Gesellschaft, auf den sich beispielsweise der US-amerikanische Whistleblower Edward Snowden, aber auch Aktivisten der kapitalismuskritischen Occupy-Bewegung berufen. Seine Leitfrage, die im Bereich der normativen Wissenschaft angesiedelt ist, lautet: "Was ist erlaubt? Was wird verfolgt?".
"Uns ist aber auch daran gelegen, dass wir komplizierte Fachfragen auch mit der Öffentlichkeit im Rahmen von Veranstaltungen diskutieren", betont Direktor Lutz-Bachmann. Zu den in der Regel gut besuchten Vorträgen, die das Kolleg regelmäßig veranstaltet, kommen auch höhere Klassenstufen.
Dass die moderne Tagungsstätte das Profil des Wirtschaftsstandorts Bad Homburgs auch als Wissenschaftsstadt im Rhein-Main-Gebiet schärfe, mache ihn stolz, betonte Alexander Hetjes (CDU), Oberbürgermeister der Stadt Bad Homburg. Die Stadt wie auch der Hochtaunuskreis unterstützen das Kolleg seit 2007. Nach einem fraktionsübergreifenden Beschluss hat die Stadt die Einrichtung seither mit rund 350 000 Euro gefördert.
Franziska Schubert
Frankfurter Rundschau, 13.10.2016, Seite 29 - Ausgabe FRD, FRMZ, FRDA, FRMK, FRHT, FRS, FRMT
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Rundschau GmbH, Frankfurt.