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Gregory Jones-Katz im Interview
Der Geistes- und Kulturhistoriker Gregory Jones-Katz spricht im Interview mit dem UniReport der Goethe-Universität über sein Forschungsprojekt zur Geschichte der amerikanischen Philosophie und Kulturwissenschaft seit den 1960er-Jahren bis zur Gegenwart. Gregory Jones-Katz (Foto: Stefanie Wetzel) »Schwindender Einfluss der ›amerikanischen Theorie‹« UniReport: Herr Jones-Katz, Ihr Postdoc-Projekt beschäftigt sich mit der Idee einer »American Theory«; was zeichnet Ihrer Meinung nach eine solche aus, warum sollten wir sie historisch betrachten? Gregory Jones-Katz: Ich definiere »American Theory« derzeit als eine intellektuelle und kulturelle Bewegung, die in den 1970er-Jahren an US-Hochschulen entstand und später internationale Bedeutung erlangte. Diese Bewegung beschäftigte sich mit Fragen von Differenz und Marginalität und hat viele heutige Ideen über Geschlechteridentität, race, Fördermaßnahmen zugunsten benachteiligter Gruppen (»affirmative action«) und kulturelle Aneignung geprägt. Trotz ihrer Bezeichnung als »amerikanisch« ist »American Theory« ein Hybrid aus Ideen mit verschiedenen Wurzeln, unter anderem aus der deutschen und französischen Philosophie sowie der russischen Literaturtheorie. UniReport: Was ist Ihr Beitrag zum Projekt Democratic Vistas, und wie beeinflusst Walt Whitmans Vorstellung, dass die Demokratie das tägliche Leben durchdringen sollte, Ihre Arbeit? Gregory Jones-Katz: Mein Beitrag zum Projekt schließt an Whitmans Auffassung von Demokratie an. Für ihn war Demokratie nicht nur ein politisches System, sondern auch ein intellektuelles und existenzielles Bekenntnis zu liberalen Werten. Auch ich verstehe Demokratie nicht nur als eine Ansammlung von Gesetzen und Instititutionen, sondern als eine Lebensweise, die unser tägliches Leben prägt. »American Theory« ist mit demokratischen Idealen verwoben, da sie die Menschen dazu anregt, sich mit Begriffen wie Differenz und Marginalität auseinanderzusetzen. Häufig wird Theorie als abstrakt kritisiert, aber sie hat Auswirkungen auf die reale Welt. Das Lesen und Diskutieren von Texten trägt zu einem tieferen Verständnis von Geschichte und Kultur bei und stärkt damit die Demokratie. Die Wirkung von Theorie tritt jedoch nicht sofort ein, sondern kann sich auch erst Jahre später entfalten. »American Theory« beeinflusste nicht nur Aktivisten und Aktivistinnen, sondern auch Fachleute in verschiedenen Bereichen, von Hochschullehrenden bis hin zu Anwälte und Anwältinnen und Journalist und Journalistinnen, die diese Ideen in die breitere Gesellschaft hineintrugen. Bildung hat häufig indirekte Einflüsse und wirkt auf Umwegen: Manchmal kehren Texte, die wir vor vielen Jahren gelesen haben, auf unerklärliche Weise zu uns zurück, um uns bei der Bewältigung aktueller Probleme zu helfen. So entstehen über Jahrzehnte hinweg tiefgreifende kulturelle Veränderungen, die sowohl gesellschaftliche als auch persönliche Sichtweisen prägen. UniReport: Wie hat Ihre bisherige Zeit in Bad Homburg Ihre Forschung geprägt? Gregory Jones-Katz: Am Forschungskolleg recherchiere und schreibe ich ein Buchkapitel über die Gender-Dimension und andere Diversity-Aspekte von »American Theory«. In den letzten Monaten wurde ich ermutigt, »außergeschichtlich« zu denken, das heißt, mehr über die politischen Aspekte meiner Arbeit nach- zudenken. Ich wurde dazu ermuntert, die Frage zu beantworten: Was, wenn überhaupt, ist meine Kritik an »American Theory«? Darüber hinaus habe ich ein tieferes Verständnis für den transatlantischen intellektuellen Austausch zwischen Amerika und Europa gewonnen und aus erster Hand erfahren, wie Ideen, Projekte und Menschen institutionelle und regionale Grenzen überschreiten. UniReport: Wie hat Ihnen der Aufenthalt am Kolleg und die Zusammenarbeit mit Ihren Kolleg*innen in Frankfurt und Bad Homburg bisher gefallen? Gregory Jones-Katz: Das Forschungskolleg in Bad Homburg ist ein seltener und besonderer Ort – die Umgebung, die Einrichtung, die Kollegen und Kolleginnen und die Mitarbeitenden machen den Aufenthalt wirklich unvergesslich. Die ruhige und angenehme Atmosphäre regt zum Nachdenken und Reflektieren an und die Diskussionen mit meinen Kollegen und Kollleginnen mit unterschiedlichsten Hintergründen und Erfahrungen bereichern mein Projekt, da sie die Tendenz, in nationalen Grenzen zu denken, in Frage stellen. Der interdisziplinäre Austausch fördert eine breitere Perspektive und trägt zu einem differenzierteren Verständnis meiner Forschung bei. Darüber hinaus haben meine Verbindungen zum Studiengang Vergleichende Literaturwissenschaft und zum Fachbereich Geschichte der Goethe-Universität meine intellektuelle Welt nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa geöffnet. UniReport: Mit dem John McCloy Transatlantic Forum möchte das Projekt Democratic Vistas eine breitere Öffentlichkeit erreichen. Was hat es für Sie persönlich bedeutet, daran mitzuwirken? Gregory Jones-Katz: Zusammen mit Johannes Völz, dem Co-Sprecher des Projekts, hielt ich im Januar an einem Wiesbadener Gymnasium einen Workshop über Demokratie als Lebensform im öffentlichen Raum. Ich sprach über meine Erfahrungen mit der Demokratie – oder ihrem Fehlen – auf öffentlichen Plätzen wie dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking und dem Liberty Square in Taipeh. Der Kontrast zwischen den beiden Plätzen könnte nicht schärfer sein, etwa was die Bewegungs- und Meinungsfreiheit betrifft, die auf dem Liberty Square herrscht. Die Schüler und Schülerinnen waren sehr interessiert und engagiert und stellten sofort den Bezug zu ihrer eigenen Nutzung von öffentlichen Räumen her. Sie nannten Beispiele wie die Proteste gegen die AfD, die zu dieser Zeit stattfanden, aber auch Rockkonzerte und den Karneval. Der Gedanke, dass Demokratie nicht nur ein politisches System, sondern auch eine Lebens- und Denkweise im Alltag ist, war für die Schüler und Schülerinnen so spannend, dass viele von ihnen auch nach dem Ende der Schulstunde noch weiterreden wollten. Fragen: Monika Hellstern Dr. Gregory Jones-Katz ist ein amerikanischer Geistes- und Kulturhistoriker. Er promovierte 2016 in amerikanischer Geschichte an der University of Wisconsin-Madison. Danach lehrte er sechs Jahre lang an der Chinese University of Hong Kong in Shenzhen, bis er China 2022 unter dem Druck des zunehmenden Autoritarismus verließ. 2022/2023 lehrte er an der Universität Duisburg-Essen. Jones-Katz war Stipendiat am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI) und am Center for Advanced Studies der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Sein erstes Buch Deconstruction: An American Institution wurde 2021 von der University of Chicago Press veröffentlicht. Als Stipendiat des Forschungsschwerpunktes »Democratic Vistas. Reflections on the Atlantic World« arbeitet er am Forschungskolleg Humanwissenschaften an seinem zweiten Buchprojekt Empire of American Theory and the Triumph of Neoliberalism 1965–2008. Darin befasst er sich mit der Geschichte der amerikanischen Theorie und ihrer breiteren Wirkung in den Vereinigten Staaten von 1960 bis in die 2000er Jahre. Quelle: UniReport der Goethe-Universität Frankfurt, Nr. 3, 03.06.2024, S. 14, online verfügbar im Webmagazin der Goethe-Universität (Link) (FKH - 03.06.2024)
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